Kinder wollen von Natur aus kooperieren, gefallen und harmonisch mit uns zusammen leben. Doch manchmal tun Kinder einfach nicht, was wir von ihnen verlangen. Anstatt das Kind mit Tricks zum Gehorsam zu zwingen, hilft ein Blick in die Tiefe um zu verstehen, warum ein Kind nicht hören will.
Wir Eltern geben gern den Ton an. Wie passend, denn Kinder haben alleine aufgrund ihrer enormen Abhängigkeit von uns eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft. Sie tun alles, um uns zu gefallen (was ziemlich gefährlich sein kann). In erster Linie tun sie jedoch alles, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Von Erwachsenen nicht übersehen oder vergessen zu werden ist in den Genen der Menschenkinder als überlebensnotwendig einprogrammiert. Ohne die Fürsorge der Großen droht erfrieren, verhungern oder gefressen werden.
Allerdings heißt das nicht, dass Kinder nicht auf ihre eigenen Bedürfnisse achten. Auch das gehört zum Überlebenstrieb. (Sie hören allerdings damit auf, wenn sie merken, dass es den Erwachsenen missfällt – ebenso gefährlich!)
Wenn ein Kind nicht „folgt“, dann unserer Erfahrung nach meist aus einem dieser Gründe:
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Das Kind ist noch zu jung
Erst mit ca. 4 Jahren erreichen Kinder den Entwicklungsmeilenstein des Perspektivenwechsels und können sich damit in andere Personen hinein versetzen. Davor KÖNNEN sie gar nicht abschätzen, welche Gefühle ihr Verhalten auslöst. Gedanken wie „sie macht das nur, um mich zu nerven“ sind also komplett fehl am Platz.
Ich kann von meinem Zweijährigen nicht verlangen, dass er beim Frühstück eine halbe Stunde neben mir sitzen bleibt während ich mit meiner Schwester plaudere. Ich habs probiert, ihn mit allem möglichen Spielzeug abgelenkt, hat nicht funktioniert, es blieb bei dem einen Versuch. Ich war nicht böse auf ihn, er konnte nicht anders. Eine halbe Stunde ist für Kinder RICHTIG lang!
Andererseits gibt es auch Kinder, die das können. Hab ich auch schon erlebt. Da essen die Großen in Ruhe und der Kleine sitzt am Restaurant-Tisch und spielt mit seinen Autos oder schaut ein Buch an – ganze drei Gänge lang!
Das Kind handelt nach unserem Vorbild
Wenn Kinder genervt auf unsere Bitten reagieren, die Augen verdrehen, provozieren oder partout das Gegenteil von dem tun, was wir möchten, könnte dies auch ein Spiegel unseres eigenen Verhaltens sein.
- Wie reagieren wir wenn wir von unseren Kindern gebeten werden, zum x-ten Mal „Der Hase mit der roten Nase“ vorzulesen?
- Wie kompromissbereit zeigen wir uns wenn es um die Schlafenszeit geht?
- Wie gehen wir mit anderen Familienmitgliedern oder Freunden um, wenn sie etwas von uns möchten?
- Wie rasch gehen wir an die Decke, wenn wir unseren Willen nicht durchsetzen?
Kinder haben unglaublich feine Antennen und bemerken jede Kleinigkeit unseres Verhaltens – Lernen durch Nachahmung ist schließlich ihr Hauptjob!
Das Kind KANN im Moment nicht kooperieren
Das Leben eines Kindes ist nicht einfach.
Es würde so gerne zu Hause in Ruhe spielen, aber es heißt, Zähne putzen, anziehen und ab in den Kindergarten. Dort muss es sich den ganzen Vormittag in eine Gruppe einfügen, sich friedlich anpassen und den dortigen Strukturen folgen. Oder noch schlimmer: in der Schule still sitzen und sich konzentrieren.
Es gab vielleicht Streit und seine beste Freundin lädt es nicht mehr zu ihrer Geburtstagsfeier ein. Dann hat es vielleicht noch sein Pausenbrot vergessen und ist hungrig. Dann kommt es endlich nach Hause, zieht Jacke und Schuhe aus und pfeffert sie in eine Ecke.
„Räumst du bitte deine Sachen weg?“ hört es gar nicht und auch, dass dieses Thema schon hundertmal diskutiert wurde ist (mal wieder) völlig egal.
Es hat schon so viel kooperiert und KANN jetzt einfach nicht mehr. Dieses Problem können Kinder nur noch nicht formulieren. „Ich bin so erledigt von meinem stressigen Tag, ich brauch jetzt erst mal meine Ruhe“ ist eine Aussage der Selbstreflexion, die manche Erwachsene noch nicht zustande bringen.
Deshalb unser Tipp: Lasst euer Kind in Ruhe runter kommen, lasst es in seinem Zimmer Dampf ablassen, lasst es in seinem Zuhause negative Gefühle zeigen und so sein wie es möchte. Gebt ihm den Raum, die Zeit und die Begleitung, die es braucht, um damit fertig zu werden. Ohne zu schimpfen und zu drängen.
Stellt euch vor, ihr hattet einen mühsamen Tag in der Arbeit. Der Computer ist dauernd abgestürzt, die Chefin war unzufrieden, ihr hattet Stress mit einem Kollegen und der Kaffeeautomat war auch noch kaputt.
Am Abend beschwert sich euer Partner, dass in der Küche noch nicht abgewaschen ist. Wie reagiert ihr?
Eben!
Das Kind hört uns wirklich nicht
„Kinder, Hände waschen gehen, Essen ist fertig!“
Dieser Ruf verhallt in den meisten Fällen völlig ungehört (außer der Hunger ist schon seeeeehr groß). Sich mit durchs Zimmer rufen Gehör zu verschaffen funktioniert in den meisten Fällen nicht. Denn die Kinder sind so in ihr Spiel vertieft, dass sie einfach tatsächlich nicht hören, was rund um sie passiert. Junge Gehirne haben außerdem noch kaum Erfahrung damit, welche der tausenden Sinneseindrücke, die auf sie einprasseln wichtig genug sind, um bis ins Bewusstsein durchgelassen zu werden. „Unwichtige Umgebungsgeräusche“ aus dem anderen Raum werden demnach einfach ausgeblendet.
In diesem Fall hilft es, präsent zu sein und im wahrsten Sinne des Wortes in ihrem Blickfeld aufzutauchen. Zu ihnen gehen, sich auf Augenhöhe begeben, sie kurz am Arm berühren und das Gesagt wiederholen. So merken die Kinder, dass wir uns mit ihnen beschäftigen und reagieren auf unsere Botschaft.
Aus dem Leben gegriffen: Ich sitze mit den beiden im Wohnzimmer. Wir spielen Piraten. Da ruft mein Mann aus der Küche: „Kinder, wollt ihr mir beim Kuchen backen helfen?“
Keine Reaktion. Ich wiederhole die Frage: „Wollt ihr mit dem Papa gemeinsam einen Kuchen backen?“
Beide springen auf und laufen in die Küche. Papa oder was er von sich gab war momentan einfach nicht auf ihrem Radar.
Und wenn sie uns immer noch scheinbar absichtlich ignorieren: Sie machen das nicht böswillig. Wir bekommen unsere Antwort oft erst nach dem fünften Versuch. Total nervig aber damit müssen wir leben.
Es kommt keine klare Botschaft an
Ebenfalls entscheidend ist die Stimmlage und die klare Formulierung der Bitte. Dabei sollte es keinesfalls der Befehlston sein (der wird vor allem mit zunehmendem Alter immer gekonnter ignoriert). Druck erzeugt Gegendruck, mit einer freundlichen Bitte erreichen Eltern viel mehr.
„Rutscht noch ein allerletztes Mal und dann gehen wir nach Hause“ ist eine viel exaktere Ansage als „Wir werden jetzt dann bald gehen müssen, okay?“. Wer selbst einen unsicheren Kurs fährt, kann von seinen Kindern keine klare Antwort erwarten.
Vor allem bei kleinen Kindern nützt es außerdem nicht zu sagen: „Hör auf damit!“ Es muss immer eine Ersatzhandlung angeboten werden. Zum Beispiel:
- Schlag nicht mit dem Hammer gegen die Wand, hämmere bitte stattdessen auf das Sofa!
- Nicht an der Wand malen, hier hast du Papier!
- Nicht die Bücher werfen! Wenn du etwas durch die Gegend schmeißen willst, hol dir einen Ball! (Das hat verblüffenderweise sogar schon bei unserem Einjährigen funktioniert)
- Bitte hör mit dem Lärm auf, ich bekomm davon Kopfschmerzen! Wenn du laut sein möchtest, geh bitte in dein Zimmer und mach das dort!
- Lauf nicht davon, bleib da, wo du mich sehen kannst!
Außerdem muss die Aufgabe machbar sein. „Bitte räum dein Zimmer auf“ überfordert viele Kinder angesichts des Chaos. Besser ist „Du gibst jetzt bitte die Bausteine in diese Kiste, ich helfe dir und räum die Autos weg“.
Allerdings muss die Bitte auch wirklich als solche gemeint sein. Das bedeutet, dass ein Nein akzeptiert wird. Wenn nicht, ist es ein Befehl. Da hilft auch der freundliche Ton nichts. Und wenn wir schon befehlen, müssen wir auch dazu stehen.
Das Kind stellt sich gegen unsere Machtausübung
Eltern haben von Natur aus Macht über ihre Kinder. Sie sind ihnen körperlich, psychisch und ökonomisch überlegen. Doch wir können selbst entscheiden, ob, wie und wie oft wir von dieser Macht Gebrauch machen.
Ein guter Hinweis, ob wir unsere Macht missbrauchen ist der Satz „Weil ich das so sage!“. Dann gibt es scheinbar keinen anderen guten Grund für ein Kind zu tun, was von ihm verlangt wird. Hier geht es nicht mehr um Beziehung, sondern darum, recht zu haben. Oder, um es mit den Worten von Damaris Schulz von FamiliePur zu sagen:
„Es ist nicht meine Rolle als Mama, die mich legitimiert, ihr Anweisungen zu geben. Es ist die Art und Weise, wie sie an mich gebunden ist, die es ihr ermöglicht, auf mich zu hören. Nur wenn die Bindung warm ist, nur wenn ich das Vertrauen meiner Tochter habe, kann ich sie an die Hand nehmen.“
Wenn wir also gegen den Willen des Kindes den Fernseher ausschalten und dann die Fernbedienung dort hinlegen, wo es sie nicht erreichen kann, üben wir Macht aus.
Das ist vollkommen ok, wenn wir uns dessen bewusst sind. Dann zeigen wir nämlich Verständnis und kommentieren den mit Sicherheit folgenden Unmut nicht mit „Da brauchst du jetzt gar nicht sauer sein!“. Denn natürlich ist das Kind sauer – wären wir doch auch!
Wenn unser Partner uns einfach die Schokolade aus der Hand nehmen würde und uns verbietet, sie zu essen, würden wir diese Handlung als das begreifen, was es ist: eine Einschränkung der persönlichen Freiheit. Da darf man schon mal wütend werden.
Übrigens: Wird der Bitte Folge geleistet freuen sich auch Kinder über ein höfliches Dankeschön! Und platzt uns doch mal der Kragen und wir schreien rum, um gehört zu werden, kann eine anschließend ernst gemeinte Entschuldigung Wunder wirken! So merken die Kids, dass auch wir nicht perfekt sind und Fehler zugeben können. Ebenfalls eine wichtige Vorbildfunktion für die kindliche Entwicklung.